Von ihrem Zuhause aus hat Daniela Walker zwar keinen Blick auf die Museggmauer. Als Leiterin des Stadtarchivs Luzern ist sie jedoch mit den Baudenkmälern der Stadt Luzern eng verbunden, ganz besonders natürlich mit jenen, die sich im Eigentum der Stadt befinden. Das Historische ist ihre Berufung und ihre Leidenschaft. Das Stadtarchiv ist das Gedächtnis der Stadt Luzern, in dem Informationen bewahrt werden, welche Denkmäler wie die Museggmauer zum Sprechen bringen.
Das Bewahren von Informationen zur Stadt Luzern ist eine Kernaufgabe des Stadtarchivs. Weshalb ist das wichtig?
Nun, eine Antwort auf Ihre Frage gibt das Gemeindegesetz des Kantons Luzern: «Die Archivierung soll mit der dauernden Aufbewahrung und der Aufbereitung von Unterlagen einen Beitrag leisten zur Rechtssicherheit, zu einer kontinuierlichen und rationellen Verwaltungsführung, zur Schaffung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns sowie zur Bereitstellung von Grundlagen für die Forschung.» Das archivische Tun ist damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses, liefert gleichzeitig aber auch Ausgangsmaterial für die Arbeit an eben diesem gesellschaftlichen Selbstverständnis.
Wenn ich zur Museggmauer forsche, muss ich nicht nur im Stadtarchiv, sondern auch im Staatsarchiv nach Quellen suchen.
Dies hängt zusammen mit der Ausbildung der verschiedenen staatlichen Ebenen seit dem Zusammenbruch des Ancien Régime 1798. Mit der Trennung von Aufgaben und Vermögen zwischen Stadt und Kanton Luzern 1803 wurden auch die Archivalien aufgeteilt.
Dann finde ich also in ihrem Archiv nichts, das älter als 1803 ist?
Doch, doch. Im Fall der Museggmauer ist es aber tatsächlich so: Alle Originalbelege vor 1803 finden sich in den Ratsprotokollen im Staatsarchiv.
Im Bauernhof Hinter-Musegg, der um 1966 abgebrochen worden ist, steckte ein wahrscheinlich mittelalterlicher, turmartiger Steinbau. Wurden und werden derartige städtebauliche Veränderungen dokumentiert und archiviert?
Dank einer Vollarchivierung der Baugesuchsunterlagen seit 1862 werden die städtebaulichen Veränderungen systematisch dokumentiert. Nachgewiesen sind die Baugesuchsunterlagen in der sogenannten Häuserchronik, einer historisierenden Kartei, aufgebaut nach den Grundstücknummern der Stadt Luzern. Die Häuserchronik war effiziente Grundlage für verschiedenste Inventare wie das INSA, das Inventar der neueren Schweizer Architektur (Stadt Luzern), das Altstadtinventar oder das Inventar der Hotel- und Tourismusbauten (Stadt Luzern). In anderer Form weitergeführt wird die Häuserchronik mit der elektronischen, datenbankbasierten Erschliessung, die vielfältige Abfragen zulässt. Der Strassenbestand des Bildarchivs ergänzt die Baugesuchsunterlagen. Allerdings liegen hier die Belege weit weniger dicht vor, da sie eher selten aus einer amtlichen Tätigkeit erwachsen und deshalb aufgrund von Schenkungen ins Stadtarchiv kommen.
Mit der Digitalisierung produzieren wir immer mehr Daten, aber weniger Inhalt. Wie entscheiden Sie, was von unseren Vereinsakten aufbewahrt werden soll und was nicht?
Für die Verdichtung auf das Wesentliche hat sich ein generischer Kriterienkatalog bewährt. Unterlagen sind demnach archivwürdig, wenn sie
- Politik, Herkunft, Ziel und Vorgehen einer Organisation festhalten;
- deren wesentliche Rechte und Pflichten aufzeigen;
- Daten, Informationen und Wissen im Zusammenhang mit den internen Arbeits- und Entscheidungsprozessen finanzieller, administrativer, personeller und organisatorischer Art oder die (routinemässigen) Aufgaben nach aussen verdichtet wiedergeben;
- den schriftlichen Niederschlag substantieller Aufgaben (Arbeits- und Entscheidungsprozesse) und Entwicklungen vollständig bzw. selektiv beinhalten;
- beispielhafte, richtungsweisende, kuriose Entscheide oder Vorfälle dokumentieren; Endprodukte (Publikationen, Filme, Videos) und typische Dokumentationen der Organisation (Vorträge, Ansprachen, Reden) betreffen oder gesellschaftliches und wissenschaftliches (insbesondere historisches) Gewicht haben.
Gibt es ein bestimmtes Thema der Stadtgeschichte, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
An der Tätigkeit im Stadtarchiv schätze ich, mich mit einer grossen Bandbreite gesellschaftlicher, politischer und kultureller Themen auseinandersetzen zu können. Aktuell etwa mit dem Löwendenkmal, das im Hinblick auf sein Jubiläum dieses Jahr neu befragt wird in seiner Funktion und Bedeutung.
Dieses Interview erschien in der Museggmauer Zytig 2021
Bauernhof Hinter-Musegg vor 1966 mit wahrscheinlich mittelalterlichem turmartigen Steinbau im Wohnhaus.
Daniela Walker vor dem Riesenpanorama von Allenwinden mit Blick von Löwenplatz bis Männliturm (zirka 10 x 2 Meter), das entstanden ist zwischen 1900 und 1920 und bis 2008 im Keller der Buchbinderei Schlapfer lagerte. Fast schon eine neue Aufgabe für den Verein für die Erhaltung der Museggmauer?